Transformation in Human Resources – Sven Stegemann im Interview
Sven Stegemann ist systemischer Organisationsberater, All-Round-Theoretiker und leitet die Akademie für Transformationsdesign in Berlin. Als (Sozial-)Unternehmer war er an zahlreichen Gründungen beteiligt und fühlt sich bis heute dem Open State Kollektiv zugehörig, mit dem er Projekte wie POC21, Refugee Open Cities und Open State of Politics in die Welt brachte. Bis 2019 war er über einen Zeitraum von fünf Jahren einer von drei Geschäftsführern der Organisationsberatung Open State Strategies GmbH. Heute lehrt, berät und forscht er im Feld des Transformationsdesigns.
Als Transformationsberater und Gründer der Akademie für Transformationsdesign, was würdest Du HR-Manager:innen raten, um intern eine sozial-ökologische Transformation anzustoßen?
Eine sozial-ökologische Transformation ist ein tiefgreifender Wandlungsprozess, für die sich in den letzten Jahrzehnten allgemeine Gelingensbedingungen herauskristallisiert haben. Diese gelten erst einmal unabhängig davon, ob ich einen Prozess von innen heraus oder als externe Person anstoßen möchte.
Wenn ich nun zum Beispiel als HR-Manager:in in diese Richtung wirken möchte, könnte ich durch die Kriterien zur Auswahl von Mitarbeitenden Einfluss auf die Grundmotivation an der Basis nehmen. Oder, als weiteres Beispiel, durch die Auswahl von Fortbildungsangeboten Themen in die Organisation tragen. Am Ende des Tages brauche ich aber zu irgendeinem Zeitpunkt die Unterstützung der Führung.
Dies ist eins von etlichen Kriterien, die für den Erfolg entscheidend sind. Das der Fisch vom Kopf her stinkt, ist immer wieder eine teils bittere Erkenntnis für viele hochmotivierte Menschen in den unteren und mittleren Bereichen von Hierarchien.
Mein Rat dazu: Prüfe lieber früher als später, ob deine Vorhaben mit der vorhandenen Führung realistisch sind. Und ob es gegebenenfalls Chancen auf Änderungen in der Führung gibt. Andernfalls setze deine Energie lieber an anderer Stelle ein, wo die Zeichen der Zeit schon erkannt werden. Alle anderen Organisationen folgen dann später oder verschwinden vom Markt. Manchmal ist neu machen leichter als reparieren.
Wieso sind Organisationen ein wichtiger Hebelpunkt für gesellschaftliche Veränderungen?
Ganz schlicht deswegen, weil alles um uns herum organisiert ist. Die meisten von uns in Deutschland und anderen westlichen Kulturen kommen im Krankenhaus zur Welt und werden mit Hilfe eines Beerdigungsinstituts unter die Erde gebracht. Auch dazwischen bewegen wir uns konstant und simultan in unzähligen Arten von Organisationen. Das spannende an ihnen ist, dass sie – anders als abstrakte Gebilde wie das Wirtschaftssystem oder das politische System – handhabbar und konkret genug sind, um an und mit ihnen arbeiten zu können. Gleichzeitig wirken sie sowohl nach innen; wirken also sozialisierend auf alle Teilnehmenden, als auch nach außen auf die größeren Zusammenhänge, in denen sie stehen. Ein aktuelles Beispiel: Gerade ziehen sich die großen westlichen Ölgesellschaften aus ihrem Russlandgeschäft zurück. Die gewaltige Lücke an benötigter Energie könnte nun zu einer massiven Beschleunigung des Umstiegs auf erneuerbare Energien führen.
Was genau ist der Unterschied zwischen Transformationsdesign und Transformationsberatung?
Bei der Unterscheidung zwischen Transformationsdesign und -beratung arbeite ich mit unserer eigenen Definition: Im ersten Fall übernehme ich selbst die Führung und Verantwortung für ein Projekt, dass sich als Organisation oder Reallabor manifestieren kann. Im zweiten Fall bin ich als externer Dritter beratend tätig, die finale Verantwortung verbleibt bei der Klientin oder der Organisation.
Inwiefern siehst Du einen Zusammenhang zwischen deiner Transformationsarbeit und den Aufgabengebieten von Human Ressources innerhalb eines Unternehmens?
Human Ressources bildet eine interessante Schnittstelle zur relevanten Umwelt der Organisation, wie wir es in der systemischen Arbeit nennen. Die relevante Umwelt setzt sich aus HR-Perspektive sowohl aus den aktuellen Angestellten als auch potenziellen zukünftige Kolleginnen und Kollegen zusammen. Als HR-Mensch gehe ich in Resonanz mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Organisation. Ich nehme darüber gesellschaftliche Schwingungen auf, die für die Organisation von Bedeutung sind. Organisationen, die auch in Zukunft tolle Leute anziehen möchten, müssen diese gesellschaftlichen Entwicklungen in ihre Kommunikation und immer solider auch in ihre Strategie überführen – sonst verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. HR bildet hier eine wichtige Schnittstelle und kann als Katalysator wirken.
Wie kann man Deiner Meinung nach die Transformation eines Unternehmens messbar machen? Wie stellt man durch Indikatoren fest, dass die Transformation wirklich in die gewünschte Richtung geht, hin in eine nachhaltigere Zukunft für heutige und zukünftige Generationen?
Hierfür benötigen wir eine Definition von Entwicklung, die wir als wünschenswert erachten. Es gibt keine gottgegebene Definition. Darum ist es wichtig, unsere Kriterien transparent zu machen – und nach Bedarf anzupassen und so zu verbessern. So verhindern wir auch, dass wir x-beliebige Veränderungen als Transformation verklären. Wenn ein Unternehmen pleite geht, ist das per se auch eine Transformation, aber meist nicht in die gewünschte Richtung. Das nur als drastischsten Fall.
Was also würden wir als Fortschritt bezeichnen? Es gibt dazu viele taugliche Entwicklungstheorien, mit denen wir je nach Nützlichkeit für den jeweiligen Fall arbeiten können. Ein gemeinsamer Indikator bildet in fast allen Theorien eine Zunahme von Komplexität in den Organisationsmustern. Dies zeigt sich beispielsweise in einem derzeit sehr populären Modell von Frederic Laloux, welches er in seinem Buch “Re-inventing Organizations” beschrieben hat.
Die Rolle von HR wird sich übrigens nicht nur nach seiner Theorie fundamental verändern. Es führt hier zu weit, aber Recruiting-Prozesse werden aller Voraussicht nach immer mehr von dezentralen Teams selbst durchgeführt werden, die mit dem Tagesgeschäft verwachsen sind – möglicherweise begleitet und moderiert durch HR. Human Ressoures wird auch weiterhin administrative und unterstützende Tätigkeiten und möglicherweise neue Aufgaben übernehmen. Pseudo-objektivierbare Verfahren wie Assessment-Center werden aber aus meiner Sicht bald der Vergangenheit angehören.
Wie lange schätzt Du, basierend auf Deiner Arbeit als Transformationsberater, den Transformationsprozess von Unternehmen ein? Befindet sich ein Unternehmen vielleicht in einem permanenten Wandel, da es nie den “perfekten Zustand von Nachhaltigkeit” erreichen kann?
Einen Zustand anhaltender Nachhaltigkeit kann es in diesem Universum tatsächlich per Naturgesetz nicht geben – sonst gäbe es auch ein Perpetuum Mobile. Irgendwann verglüht auch die Erde in der Sonne. Das ist zum Glück noch lange kein praktisches Problem, insbesondere Energie steht uns theoretisch auf lange Frist in unbegrenzter Form über die Sonne zur Verfügung.
Wenn wir momentan von Nachhaltigkeit sprechen, geht es um eine sehr viel kürzere Perspektive. Wie können wir es schaffen, uns selbst als Menschheit nicht innerhalb weniger Generationen selbst auszurotten oder auf ein klägliches Entwicklungsniveau zu degenerieren? Diese Herausforderung fordert uns alle inklusive unserer Organisationen ab jetzt zu massiven und ständigen Anpassungen an sich verändernde Umwelten über einen langen Zeitraum heraus. Es geht darum, extraktive Business Modelle, in denen Ressourcen in einem linearen Prozess verbraucht und entsorgt werden, in zirkuläre oder sogar regenerative Formen zu überführen.
Im Innern wird das Organisationen über Jahrzehnte herausfordern. Aus Sicht eines Transformationsberaters ist ein Beratungsprozess nur dann abgeschlossen, wenn die entsprechende Organisation diese konstante Dynamik in die eigene DNA integriert hat und keine Hilfe von außen mehr benötigt, um sich immer wieder neu auszurichten. Das stellt enorme Herausforderungen an die Beschäftigten von Unternehmen, die sich immer wieder neu auf sich verändernde Umgebung einstellen müssen. HR kann auch hier in vielen Bereichen unterstützend wirken und zu einem Umfeld beitragen, dass uns diese Herausforderung zumindest leichter meistern lässt.