Kathi Belau von MYCS – Arbeiten mit Holakratie
Liebe Kathi, magst Du dich und MYCS vorstellen?
MYCS ist ein internationales Scale Up für modulare Möbel, die man sich online über den selbst entwickelten Konfigurator auf die individuellen Bedürfnisse anpassen kann. Zudem stehen neun Showrooms in der DACH-Region und Frankreich zur Verfügung für alle Kund:innen, die sich die Möbel vor dem Kauf noch einmal live anschauen oder sich von den Interieur Designer:innen vor Ort beraten lassen möchten. Acht Jahre nach der Gründung in Berlin arbeiten heute 240 Mitarbeitende in Deutschland, Polen, Frankreich, Schweiz und UK daran, individuell anpassbare Möbel in mehr und mehr Wohnungen zu bringen und es somit unseren Kund:innen zu ermöglichen, sich ihr Zuhause so zu gestalten, wie sie es sich wünschen.
Ich bin der Lead Link des 9-köpfigen internationalen People & Culture Circles (P&C) und unterstütze das Team mit Strategie, Priorisierung und als Sounding Board. Gleichzeitig habe ich auch operative Rollen inne wie zum Beispiel die Personalplanung, Budget und als Sparring Partner für das Leadership und das Finance Team.
Wie kam es dazu, dass Ihr euch als Unternehmen weg von der klassischen Hierarchie hin zur Holakratie entwickelt habt?
2017 hat MYCS die gleichen Schmerzen wie viele Start-ups vor uns gespürt: das Team vergrößert sich schnell und gleichzeitig wachsen Komplexität und Schnelligkeit. Unser damaliger COO und Co-Founder Kai hat als Reaktion darauf ein Pilotprojekt gestartet und in seinem 12-köpfigen Operationsteam Holacracy eingeführt. Zwei Jahre später hatte die Selbstständigkeit des Teams überzeugt und Holacracy wurde in der gesamten Firma ausgerollt. Heute haben wir Holacracy weiterentwickelt und für uns angepasst und nennen unsere Organisationsstruktur jetzt breiter Self Management, also Selbstorganisation. Wir berufen uns dabei auf 4 Core Principles, welche die Grundpfeiler unserer Zusammenarbeit und Kultur sind. Alles darum herum können die gesamte Organisation oder einzelne Teams für sich anpassen:
Wie kann Holakratie durch HR-Abteilungen etabliert werden?
Für eine Veränderung der Organisationsstruktur braucht es nicht nur P&C Partner:innen, die nach Wandel lechzen und ihr eigenes Selbstverständnis auf den Prüfstand stellen wollen, sondern vor allem Commitment aus der Geschäftsführung. Gerade inhabergeführte Unternehmen tun sich schwer, Macht und Kontrolle abzugeben, es geht hier schließlich um ihr Baby. Unsere Gründer Chris, Kachun, Claudio und Kai hatten das richtige Mindset, sodass sie in vollem Bewusstsein Macht und Entscheidungsbefugnis an die Personen abgegeben haben, welche die Expert:innen auf ihrem Gebiet sind. Solche und weitere Veränderungen können und sollen aber auch von jeder einzelnen Person in der Organisation getriggert werden, die Spannungen spürt.
Auf welche Stolpersteine darf man sich einstellen, oder gibt es keine?
Oh, da gibt es einige, auch wir haben das unterschätzt! Die Einführung einer Organisationsstruktur wie Holacracy ist eine sehr tiefgreifende Veränderung, die nicht alleine von „oben“ getroffen werden sollte, sondern sollte mit der Organisation direkt entstehen. Transformationsprozesse sind immer langwierig und haben einige kulturelle und strukturelle Hindernisse zu überwinden. Ich empfehle ganz klar professionelle Unterstützung von Organisationsentwicklern, die mit den Mitarbeitenden gemeinsam und ergebnisoffen erarbeiten, was die Firma braucht. Holacracy ist dabei nur eine von vielen Optionen.
Was sind Deiner Meinung nach klare Vorteile, was Nachteile vom Arbeiten mit Holakratie?
Vorteile:
Wir erleben unsere Mitarbeitenden intrinsisch motivierter durch purpose-getriebenes Arbeiten, Autonomie in ihren Entscheidungen und das Vertrauen, das damit einhergeht. Entscheidungen werden auch effizienter getroffen: Die Autorität liegt bei den relevanten Rollen und Entscheidungen müssen nicht verschiedene Hierarchieebenen durchlaufen. Das haben wir vor allem bei Beginn der Pandemie gespürt: Die jeweiligen Rollen haben direkt miteinander gesprochen und konnten so sehr schnell reagieren (z. B. in der Kundenkommunikation). Dazu ist wichtig, dass alle ihre Priorisierung, ihre Projektstatus und Metriken transparent mit der Organisation teilen.
Nachteile:
Holacracy und die damit verknüpften Prinzipien beruhen auf der Annahme, dass wir (fast) perfekte Menschen sind, die reflektiert ihr Ego von dem Purpose der Organisation trennen können und entsprechend agieren. Es braucht hier viel Onboarding und kontinuierliches Training, um bei den Mitarbeitenden aber auch vor allem bei den ehemaligen Manager:innen ein Mindset-Change zu erreichen. Die ehemaligen Manager:innen müssen lernen Verantwortung abzugeben und die Mitarbeitenden sie zu übernehmen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Fehlerkultur stark ist und die Organisation sich durch kontinuierliches und konstruktives Feedback dieser Vision annähert.
Welche Eigenschaften bringen Deiner Meinung nach Future Talents mit?
Future Talents sind genau die Menschen, die New Work Strukturen wie Selbstorganisation angestoßen haben. Sie sind nicht mehr mit dem klassischen Command & Control zufrieden, sondern erwarten, dass der Purpose einer Organisation mit ihrem eigenen harmoniert. Das bezieht sich nicht nur auf das Produkt einer Firma, sondern auch auf die Werte dahinter, die Art und Weise wie wir kollaborieren. Bei MYCS erwarten wir von den Mitarbeitenden, kontinuierlich den Status quo zu hinterfragen und die Prozesse und Strukturen agil an den sich ständig verändernden Umständen anzupassen.
Und andersrum: Was dürfen Future Talents von nachhaltig orientierten Unternehmen erwarten?
Unternehmen, die begriffen haben, dass VUCA (Volatility, uncertainty, complexity and ambiguity) unsere Arbeitswelt auf den Kopf stellt, verfolgen einen neuen Ansatz: Wir erschaffen gemeinsam, wie wir arbeiten wollen. Ich persönlich kann mir nur noch vorstellen, in einer Organisation zu arbeiten, die Impulse der Mitarbeitenden ernst nimmt und ergebnisoffen in Konversation geht.